JOIDES Resolution, Position 10°59' S, 77°58' W, kurz nach der 5. Station

So, 10.3.2002, 10:00 Uhr, sonniges, nicht mehr so schwüles Wetter



8. Bericht

Ihr Lieben,

das Schlimmste ist jetzt überstanden. Am vergangenen Wochenende habe ich allein von Samstag 0 Uhr bis Montag mittag 42 Stunden gearbeitet. Und die ganze Woche über mussten wir immer wieder runter in den Kühlraum und Kerne zerschneiden, dazwischen unsere eigene Sachen vor- und nachbereiten. Zum Teil stanken die Sedimente so, dass wir Kopfschmerzen bekamen. Man muss sich einfach klar machen, dass der Geruch Beweis bakterieller Aktivität ist, dann lässt sich's besser ertragen. Jetzt aber sind die Stationen 4 und 5 abgeschlossen. Ich habe allein von der letzten etwa 1200 Kulturen angesetzt. Langsam werden die ersten Sachen knapp. Aber es folgen nur noch zwei Stationen in den nächsten zwei Wochen und danach fünf Tage Fahrt nach den Süden zu unserem Bestimmungsort Valparaiso in Chile.

Von der letzten Station aus konnte man den südamerikanischen Kontinent sehen - zunächst nur ganz schwach die Umrisse einiger Berge, dann aber dahinter noch gößere in der zweiten Reihe, die bereits hier bis über 3000 m hoch sind und eine gewaltige Mauer zu bilden scheinen. Die Sonnenaufgänge darüber waren wirklich beeindruckend. Wieder waren viele Vögel bei uns; Scharen von Möwen, die sich auf kleine Meeresbewohner stürzten, die durch das Schiff nach oben gewirbelt wurden; Gruppen von kleinen braunen Pelikanen waren fast immer in der Nähe; einen Blaufußtölpel mit wirklich unglaublich blauen Füßen habe ich auf dem Schiff von allen Seiten fotografiert. Immer wieder kamen Gruppen von Delfinen zu uns, hielten aber meist gut zwanzig Meter Abstand von dem lauten Ungetüm. Hingegen tauchte, als ich am Nachmittag nach dem Sport über die Reling guckte, ein großer Seelöwe direkt unter mir auf, guckte mich kurz an und tauchte wieder ab. Es ist wirklich wie im Zoo - man mache sich aber klar, wer sich hier frei bewegen kann, und wer sich in einer engen Kunstwelt befindet.

In einem Kern aus 200 m unter dem Meeresspiegel mit einem Alter von etwa 5 Millionen Jahren (zum Vergleich: den Homo sapiens gibt es seit 270 000 Jahren) habe ich eine kleine Schnecke und die sehr gut erhaltene, noch biegsame, rötlich gestreifte und mit Zacken bewehrte Chitinhaut eines Gliedertiers entdeckt. Die Artzuordnung konnte ich noch nicht machen. Chitin ist Bestandteil eines meiner Kulturmedien. Da fragt man sich schon: Wenn nach 5 Millionen Jahren die Bakterien das Chitin im Sediment noch nicht gefressen haben, warum sollten sie es dann in meiner Kultur tun?

Ansonsten mache ich noch Mikrofotos von Planktonkulturen, die ich angesetzt habe. Vielleicht können einige davon für die zweite Auflage meines Lehrbuchs verwendet werden.

Gleich wird es übrigens zum ersten Mal mittags und während der Fahrt Barbecue draußen auf dem Brückendeck geben (natürlich alkoholfrei). Deswegen mache ich mal Schluss.

Viele liebe Grüße

Heribert

Zum gestrigen Bericht gehoert noch ein kleiner Nachtrag:
Die Delfine haben natürlich genau beobachtet, wie wir zum Barbecue auf Deck waren. Und da haben sie uns eine Extra-Zirkusvorstellung der Sonderklasse gegeben. Mindestens zwanzig tummelten sich um das Schiff, waehrend wir mit 12 Knoten (etwa 20 km/h) wieder mal Richtung Norden unterwegs waren. Sie schwammen immer wieder voraus, dann schräg auf das Schiff zu. Manche schwammen in 2 m Abstand genau in der Bugwelle des Schiffs, meistens zu zweit, einmal aber habe ich 5 oder 6 Rücken an Rücken - wirklich wie Zirkuspferde - schwimmen sehen. Darunter waren auch kleine, die dicht bei der Mutter blieben. Einige zeigten Sprünge mit oder ohne Drehung in der Luft und liessen sich mit lautem Platsch ins Wasser fallen oder tauchten ohne zu spritzen glatt ein. Ich habe einige Filmaufnahmen davon, aber natürlich wieder nicht die spektakulärsten Szenen.